Mittwoch, 21. September 2016

Leuchtende Wälder

Wenn das Jahr sich mit einem Lächeln verabschiedet


(Foto c) E. Gelzleichter

Einzeln und frei wie ein Baum und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“.(Nazim Hikmet)
Dieses Rauschen der gefallenen Blätter unter den schlurfenden Füßen, manchmal kraftvoll wie ein Wasserfall oder gleich einem Bach im wilden Lauf, jeder Schritt wirbelt sie auf, diese Blätter in den vielfältigen Farben und Formen – grob gezahnt, meistens abgerundet, wirbeln Eichenblätter wie kleine Wolken, blass bis dunkelbaun gefärbt und dazwischen – lose gestreut – das Gelb der Blätter von Birken in Herzform - eiförmig die der Buchen oder bunte Ahorn“hände“. Und dann, wenn ein Lindenblatt vor die Füße taumelt, schweift der Blick zum Himmel, in die Kronen der Bäume. Sind die Äste schon alle entblößt vom Sommerkleid? Recken sie schon ihre dunklen Skelette, wie erstarrt im Gebet zu dem blassen Blau des Herbsthimmels? Erstaunlich wie viel Buntes noch das Geäst ziert, tiefes Rot, untermischt mit allen Tönen der Gelb-Palette. Dieses Jahr ist lange Maler Herbst unterwegs. Immer noch duftet es nach dem Anis von Pilzen und silbern tropft es im Moos.

Foto c)  E. Gelzleichter
Noch ein paar Wochen, dann stehen sie da, dicht an dicht, die Bäume – jeder eine Persönlichkeit, die sie - vollkommen entblößt und bar jeden Blätterkleides - deutlich sichtbar offenbaren. Viele Blessuren und Wundmale, Geschichten wie von Kriegen gegen die Natur und aus ihr, Verletzungen von Stürmen, Frost und sengender Hitze verleihen jedem Baum ein individuelles Aussehen, manches Mal schlank und rank, vielfach verwunden und gedreht, brüderlich an einen anderen angelehnt, Paare aus Laub- und Nadelbäumen. Oft scheint es, dass uns ihre „Augen“ im Wald verfolgen. Sind wir ihnen ähnlich? Vielleicht! Doch sie haben uns etwas voraus, wie die deutsche Lyrikerin und Aphoristikerin Anke Maggauer-Kirsch treffend bemerkt: 

Bäume haben etwas Wesentliches gelernt:
Nur wer einen festen Stand hat
und trotzdem beweglich ist,
überlebt die starken Stürme!“

Foto c) E. Gelzleichter 

Man sieht es, sie haben auch den letzten starken Stürmen getrotzt, krallen in diesem November um so fester ihre Blätter, oft fast noch im Sommergrün, sie lassen nicht los, wie auch der Wind sich erheben und an ihnen zerren mag, haften sie ihre grün bemoosten Wurzeln fest in die Erde, stark und aufrecht. Sicher - mancher der Uralten, musste sich den Peitschen der Stürme beugen und brach, schon lange vorher gestorben; denn Bäume sterben aufrecht. Doch selbst wenn sie fallen, sind sie noch im Sterben schön; denn neues Leben erwächst aus ihrem Verfall, die Kinder der Wälder streben aus ihren Lenden empor zum Licht.

Foto c) E. Gelzleichter

Selten dürfen wir es erfahren, dass uns auch die Augen von Waldbewohnern folgen, beobachten, dann wenn sie unsere Wege kreuzen, unverhofft – wie eine Offenbarung, ein Reh, das den Sonnenaufgang am Wegesrand verschlafen hat und nun aufschreckt. Oder ein riesiger Schwarzkittel, der sich im Sumpf die borstige Schwarte pflegt und der Laubfrosch, der sich versehentlich vom Baum auf den menschlichen Fuß fallen lässt. Bilder, die uralte Sehnsüchte zeigen, Träume zu verwirklichen scheinen: der Mensch und seine Mitgeschöpfe im Einklang mit der Natur!

Foto c) Elke Gelzleichter
Novembermorgen in den Wäldern: Wie die verlorenen Schleier eines nächtlichen Feentanzes hängen Nebelfetzen zwischen den Zweigen - der Wald scheint zu verschwimmen, gleich einem grotesken Ballett kleiner Geister wabert es auf den stillen Gewässern, lange Weidenzweige baden sich in den kleinen windbewegten Wellen. Eine graue geheimnisvolle Welt und doch, ein Lichtstrahl, der die Wolken aufreißt, sich Bahn schafft bis hinein ins dunkelste Dickicht, ist fähig in Windeseile die Waldeswelt in Bronze und Gold erstrahlen zu lassen.

Foto c) E. Gelzleichter

Dann lächelt der Wald, und der November gewährt uns sein Lächeln für die letzten Wochen des Jahres, bevor er sich verabschiedet, kraftvoll mit  einem Strauß kräftiger, herber Düfte wie von Chrysanthemen.


Foto c) E. Gelzleichter


Fotos und Text: E. Gelzleichter 
Nutzung eines Fotos nur mit Namensnennung 

21.09.16


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